Wie können wir mit unseren vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen am meisten Gutes tun? Die Aufgabe des Effektiven Altruismus ist es, genau das herauszufinden – und zwar mit Hilfe von wissenschaftlichen Methoden und einem systematischen Vorgehen. Das ist wichtig, denn die Dringlichkeit von Problemen unterscheidet sich teilweise stark und wir haben leider nicht genug Geld oder Zeit, um alle gleichzeitig zu lösen. Deshalb versuchen sich Effektive Altruist:innen auf die weltweit wichtigsten Handlungsfelder zu fokussieren.
Hört sich einleuchtend an, ist aber gar nicht so einfach umzusetzen. Denn: Was ist eigentlich „gut“? Was genau macht die Welt besser? Beschäftigt man sich mit solchen Fragen, stellt man schnell fest, dass sich die persönlichen Hintergründe und ethischen Positionen unterscheiden – und eine Lösung, die für den einen eindeutig ist, würde die andere wahrscheinlich nicht zufriedenstellen.
Fest steht: „Altruismus“ ist ein Thema, das viel Stoff für Diskussionen bietet – die in der Community sehr geschätzt sind. Was den Effektiven Altruismus sonst noch ausmacht, was unsere Grundannahmen sind und welche Methodik darauf aufbaut, erfährst Du in diesem Text.
Vom Wertesystem zur Handlung
Die Antwort darauf, wie wir mit unseren Fähigkeiten und Ressourcen möglichst viel Gutes tun können, ist nicht immer eindeutig. Deshalb strukturieren Effektive Altruist:innen wichtige strategische Entscheidungen gerne systematisch. So wird klar, wie diese zustande kommen und welche Überlegungen dahinterstecken.
In der folgenden Tabelle bekommst Du einen Überblick über grundsätzliche Fragen, mit denen sich Effektive Altruist:innen auseinandersetzen. Schrittweise wandern wir hier von Fragen mit universalem Charakter bis zu Fragen, die nur einen selber betreffen. Diese Fragen gliedern wir zum besseren Verständnis in vier Ebenen.
Natürlich ist dieses Modell nur ein erster Anlaufpunkt. Wir möchten und können keine vollständige Übersicht über alle methodischen Aspekte des Effektiven Altruismus liefern. Im Laufe des Textes verweisen wir deshalb oft auf weitere Quellen, die es Dir ermöglichen, tiefer in ein Thema einzusteigen.
Ebene | Fokus | Fragestellung |
---|---|---|
Universal | Wertesysteme | Welche Werte und Wertesysteme beschreiben eine gute Welt – unabhängig von der vorherrschenden Situation? |
Global | Handlungsfelder | In welchen Handlungsfeldern können wir besonders viel Gutes tun? |
Problem | Probleme & Interventionen | Welche Interventionen helfen uns dabei mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen eine möglichst große positive Wirkung zu erzielen? |
Individuell | Entscheidungen | Was kann ich konkret tun? |
Universale Ebene
Welche Werte und Wertesysteme beschreiben eine gute Welt – unabhängig von der vorherrschenden Situation? Nur wer sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt hat, kann eine moralisch fundierte Entscheidung treffen. Es folgt die nächste schwierige Frage: Wie können wir messen, ob und in welchem Maß diese Werte eingehalten werden? Den meisten von uns liegt zum Beispiel das Wohlergehen von Lebewesen am Herzen. Nun gilt es, zu messen, wie sehr dieses im Einzelfall erfüllt ist – und zu überlegen, welche Lebewesen überhaupt als moralisch relevant gelten. Interessieren uns nur Menschen oder auch Haustiere? Was ist mit sogenannten Nutztieren, mit Fischen oder Insekten? Messen wir Wohlergehen anhand der Zeitspanne, in der ein Mensch physiologisch gesund ist? Oder daran, wie jede Person ihr eigenes Wohlbefinden subjektiv einschätz? Oder ist diese ganze Arithmetik viel zu verkopft und wir sollten vor allem moralischen Regeln und Maximen folgen? Indem wir diese Fragen für uns beantworten, können wir selbst einen Bewertungsrahmen abstecken, der für den Vergleich von unterschiedlichen Handlungsfeldern, Interventionen und Entscheidungen gilt.
Eine weitere Herausforderung: Auch wer rational denkt, kann niemals mit letzter Sicherheit bestimmen, welches Wertesystem „korrekt“ ist. Selbst Moralphilosoph:innen, die ihr Leben der Erforschung der Ethik gewidmet haben, sind sich nicht immer einig. Wer mit dieser Unsicherheit pragmatisch umgehen möchte, kann nach dem gemeinsamen Nenner mehrerer Wertesysteme suchen: Welche Positionen werden von vielen unterstützt?
Die Community des Effektiven Altruismus geht mit dieser moralischen Unsicherheit bewusst um und ist daher für verschiedene Wertesysteme offen. Eine wichtige Grundlage spielt dabei die Theorie des Konsequentialismus. Hier steht nicht im Vordergrund, ob eine Person besonders tugendhaft handelt oder sich an bestimmte Regeln hält: Der wichtigste Indikator dafür, ob etwas moralisch ist, ist die Konsequenz einer Handlung. Da Konsequenzen von Handlungen grundsätzlich für alle Moraltheorien relevant, bzw. interessant sind, bietet der Konsequentialismus eine gute Grundlage für einen kooperativen Austausch. Die womöglich beste Konsequenz, und somit ein mögliches Ziel für den Effektiven Altruismus, ist es, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, das Wohlergehen von allen Lebewesen zu maximieren.
Zwei Aspekte sind dabei im Effektiven Altruismus besonders wichtig:
- Unabhängigen Perspektive (im Englischen “cause neutrality” genannt): Wo geholfen werden sollte, hängt davon ab, wie viel dort bewirkt werden kann. Die Entscheidung sollte also unparteiisch und gut mit Evidenz begründet sein.
- Ausdehnung des moralischen Kreises: Als moralischen Kreis (im Englischen „moral circle“) bezeichnet man die Grenzen, die man zieht, um das zu beschreiben, was einem moralisch wichtig ist. Effektive Altruist:innen zeichnet aus, dass sie überlegen, wie diese Grenzen nachvollziehbar gezogen werden können.

Manches gilt es kritisch zu hinterfragen: Wenn ein Lebewesen geographisch oder sozial weit von uns entfernt ist, bedeutet sein Wohlergehen dann weniger? Aber auch: Wie wichtig sind zukünftige Generationen? Vor allem, wenn wir bedenken, dass die langfristige Zukunft das Potential hat, bedeutend mehr Lebewesen zu beherbergen als die Gegenwart und kurzfristige Zukunft. Wäre sie damit nicht sehr viel relevanter?
Globale Ebene
In welchen Handlungsfeldern haben wir voraussichtlich viel Potential, Gutes zu tun? Die globale Ebene ist wichtig, denn wir haben nur begrenzte Ressourcen, die wir global effektiv verteilen und nutzen müssen, um die drängendsten Probleme in der Welt lösen. Deshalb gilt es, Handlungsfelder zu priorisieren und solche auszuwählen, die das Potential haben, die Welt am meisten zu verbessern.
Um Handlungsfelder zu priorisieren, werden sie oft auf drei Qualitäten hin geprüft:
- Größe – wie viel Gutes würde es bewirken, die Probleme in diesem Handlungsfeld zu lösen?
- Lösbarkeit – wie viel Fortschritt können wir erwarten, wenn wir weitere Ressourcen zur Lösung der Probleme bereitstellen?
- Vernachlässigung – wie viele Ressourcen werden bereits für die Lösung der Probleme aufgewandt?
Diese drei Komponenten können wir nun nutzen, um die aktuelle Priorität der Handlungsfelder grob gegeneinander abzuwägen. So lässt sich bestimmen, wie kosteneffektiv es wäre, noch mehr Ressourcen (z.B. Arbeit oder Geld) in ein Handlungsfeld zu stecken. Auch wenn ein genauer Vergleich zwischen Handlungsfeldern schwierig ist, gilt generell: je größer, lösbarer und vernachlässigter ein Handlungsfeld ist, desto höher sollte es priorisiert werden.
Je nachdem, welches Wertesystem zugrunde liegt (auf der universalen Ebene), kann es sein, dass eine Handlungsfeld als mehr oder weniger vielversprechend eingeschätzt wird. Diese Verbindung zu moralischen Grundannahmen führt zu komplizierten Fragen, die in einem eigenen Forschungsfeld behandelt werden: Global Priorities Research.
Trotz dieser offenen Fragen ist sich die Community in manchen Punkten einig: Die Handlungsfelder Globale Entwicklung und Gesundheit, Tierwohl (insbesondere Massentierhaltung), die Sicherung einer positiven langfristigen Zukunft und die Entwicklung der Community des Effektiven Altruismus werden als besonders wichtig erachtet. Die Bedeutung von weiteren Handlungsfeldern wird darüber hinaus ständig diskutiert.
Problem-Ebene
Welche Interventionen helfen uns dabei mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen eine möglichst große positive Wirkung zu erzielen?
Innerhalb eines Handlungsfeldes geht es darum, konkrete Maßnahmen zu finden, die helfen, das zugrundeliegende Problem möglichst kosteneffektiv zu lösen. Das bedeutet, dass ein Problem besonders günstig gelöst oder ein Gut, das einem wichtig ist, besonders günstig produziert werden kann. Um derartige Interventionen zu finden, gibt es im Moment noch kein weithin akzeptiertes System, da Kosteneffektivität stark von kontextuellen Faktoren abhängig und nicht immer intuitiv erkennbar ist. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Verteilung von Entwurmungstabletten an Kinder in Gebieten mit hohem Wurmbefall wohl eine der kostengünstigsten Maßnahmen ist, um dafür zu sorgen, dass Kinder mehr Zeit in der Schule verbringen können? Eine mögliche Strategie ist es, wissenschaftliche Studien zu analysieren, um bestehende Lösungsansätze zu identifizieren und bewerten.
Diese Arbeit erledigt zum Beispiel die Organisation GiveWell: Sie evaluiert Hilfsorganisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei stützt sie sich grundsätzlich auf möglichst verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse – unter anderem auf die Ergebnisse von randomisierten kontrollierten Studien. So lässt sich eine nachvollziehbare Bewertungsgrundlage schaffen. Dieses Vorgehen wird aber auch kritisiert, denn nicht alle Maßnahmen können auf diese Art und Weise verglichen werden und erhalten entsprechend weniger Aufmerksamkeit – obwohl sie womöglich sehr kosteneffektiv sind. Außerdem ist oft nicht klar, wie gut sich eine Maßnahme auf die langfristige Zukunft auswirkt – trotz wissenschaftlicher Untersuchungen.
Die Analyse der Kosteneffektivität kann auf mehrere Arten in die Irre führen. Hier findest Du eine ausführliche Liste an Überlegungen dazu.
Diese Kritikpunkte spornen die Community an, die angewandten Methoden stetig zu verbessern. So können die Analysen und Empfehlungen von Organisationen wie GiveWell als wichtige Referenz für bessere Alternativen gesehen werden, denn Maßstäbe sind wichtig, um Verbesserungen identifizieren und bewerten zu können. Auch Bereiche in denen es noch wenige wissenschaftliche Studien zur Kosteneffektivität von Interventionen gibt, können einem EA-Ansatz folgen. Dies ist besonders im Handlungsfeld „Positive Gestaltung der langfristigen Zukunft“ der Fall: gute Argumente sind hier tendenziell wichtiger als empirische Studien.
Individuelle Ebene
Was kann ich konkret tun? Auf der individuellen Ebene geht es darum, aus theoretischen Überlegungen konkrete Handlungen zu machen. In der Community des Effektiven Altruismus werden drei Aktivitäten als besonders gute Hebel für ein ethisches Leben angesehen: effektives Spenden, effektive Berufswahl und effektives engagieren. Hier kannst Du einen besonders großen positiven Beitrag leisten.
Effektives spenden ist für viele Menschen die in wohlhabenden Ländern ein mittleres oder hohes Einkommen erzielen eine einfach Möglichkeit viel Gutes zu tun. So schätzt GiveWell, dass man mit einer Spende von weniger als3.000 € wahrscheinlich des Leben eines Menschen retten kann. Founders Pledge hebt hervor, wie man durch effektives spenden viel mehr gegen den Klimawandel tun kann, als es nur durch eine Umstellung des eigenen Lebensstils und Konsums möglich wäre. Die EA Organisation 80.000 Hours hingegen beschäftigt sich mit effektiver Karriereplanung und hebt hervor, dass wir einen Großteil unseres Lebens in der Arbeitswelt verbringen und in dieser Zeit extrem viel Gutes tun können. Wir müssen nur systematisch überlegen, wo wir den größten positiven Einfluss haben können. Eine besondere Empfehlung von 80.000 Hours: Unterstütze den Effektiven Altruismus beim Wachsen – denn so hilfst Du vielen Menschen dabei, selbst effektiv Gutes zu tun. Das multipliziert wiederum deinen eigenen Beitrag. Aber es muss auch nicht immer direkt die ganze Karriere sein, die man nach ethischen Idealen ausrichtet. In der eigenen Stadt oder generell ehrenamtlich aktiv zu werden, kann auch schon einen wichtigen Beitrag leisten und viele neue Möglichkeiten eröffnen. Es gibt bereits viele Lokalgruppen zum Effektiven Altruismus in ganz Deutschland. Schau doch einfach mal vorbei und mach Dir selber einen Eindruck von der Community.
Darüber hinaus legt die Community auf eines sehr viel Wert: Wer Gutes tut, soll sich möglichst lange dazu motiviert fühlen. Deshalb ist es so wichtig, reflektiert mit den eigenen Bedürfnissen und Grenzen umzugehen. Bist Du erst hochmotiviert, dann aber schnell frustriert – oder erkrankst sogar an einem Burnout – dann handelst Du wahrscheinlich weniger effektiv, als wenn Du Dich nachhaltig und langfristig engagierst.
Fazit
Der Effektive Altruismus ist eine junge Community, die sich mit der Frage beschäftigt, wie man mit den Ressourcen, die man hat, möglichst viel Gutes tun kann. Dabei ist die Community proaktiv und immer engagiert gewonnene Erkenntnisse auch in die Tat umzusetzen. Um diese Ziele effektiv zu erreichen, hat sich ein systematisches Vorgehen bewährt. In diesem Artikel haben wir Dir versucht einen groben Überblick über wichtige Aspekte dieser Methodik zu geben. Wenn Du noch weitere Fragen oder Anregungen hast, können wir Dir auch unsere FAQ ans Herz legen. Darüber hinaus kannst Du Dich auch gerne mit uns oder einer Lokalgruppe in Verbindung setzen. Für regelmäßige Informationen zum Effektiven Altruismus empfehlen wir dir, unseren Newsletter zu abonnieren.