Missverständnisse über Effektiven Altruismus

Von Benjamin Todd, 7. August 2020

Effektiver Altruismus wird selbst unter seinen Befürworter:innen häufig missverstanden.

In einer Arbeit aus dem Jahr 2019 — The Definition of Effective Altruism von Will MacAskill — werden einige der häufigsten Missverständnisse aufgelistet.1 MacAskills Text richtet sich vor allem an akademische Philosophen, kann aber auch als allgemeine Zusammenfassung dienen.

Kurz gesagt wird Effektiver Altruismus meist mit dem Folgenden gleichgesetzt: Es geht um die moralische Verpflichtung, so viel Geld wie möglich an evidenzbasierte Wohltätigkeitsorganisationen, die weltweiten Armut bekämpfen zu spenden oder um andere messbare Möglichkeiten, kurzfristig etwas zu bewirken.

Tatsächlich geht es bei der grundlegenden Idee des Effektiven Altruismus aber nicht um eine bestimmte Art, Gutes zu tun.

Der Grundgedanke ist vielmehr, dass einige Wege, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, viel effektiver sind als andere. In anderen Worten: Der „beste“ Weg ist erstrebenswerter als ein „ziemlich guter“ Weg und indem man den besten Weg identifiziert und ihm folgt, kann man weitaus mehr bewirken. (Wenn ich einen Business-Ratgeber schreiben würde, würde ich sagen, dass es sich um das „80/20-Prinzip“ im Bezug auf Gutes tun handelt.)

Menschen, die an Effektivem Altruismus interessiert sind, konzentrieren sich in der Praxis auf bestimmte Arten, Gutes zu tun — Spenden an globale Wohltätigkeitsorganisationen sind nur eine davon. Wie ich weiter unten erläutern werde, konzentriert sich die Mehrheit aber auf andere Themen, wie z. B. die Verringerung globaler Katastrophenrisiken als Unterstützung für zukünftige Generationen oder die Verringerung von Tierleid durch die Beendigung der Massentierhaltung.

Dabei arbeiten sie oftmals eher an risiko- und ertragreichen als an evidenzbasierten Projekten und setzen eher auf Forschung, politischen Wandel und Unternehmertum als auf Spenden.

Was Menschen, die sich für Effektiven Altruismus interessieren, eint, ist die Frage „Wie kann ich mit meinen persönlichen Kapazitäten am besten dazu beitragen, anderen zu helfen?“ — und nicht, wie sie diese Frage beantworten würden.

Was ist eigentlich Effektiver Altruismus?

Effektiver Altruismus ist ein Projekt, das darauf abzielt, die besten Wege zu finden, anderen zu helfen, und diese in die Tat umzusetzen.

Es ist sowohl ein Forschungsbereich, der die weltweit drängendsten Probleme und die besten Lösungen dafür ermitteln will, als auch eine praktische Gemeinschaft, die diese Erkenntnisse nutzen möchte, um Gutes zu tun.

Effektiver Altruismus lässt sich durch vier zentrale Werte definieren:

  1. Prioritätensetzung: Wenn wir 100 Menschen helfen, fühlen wir uns oft genauso zufrieden, wie wenn wir 1.000 Menschen helfen. Aber manche Möglichkeiten, Gutes zu tun, sind weitaus erfolgreicher als andere. Bei Effektivem Altruismus geht es darum, die besten Wege zu finden, um anderen zu helfen, und nicht nur darum, überhaupt etwas zu bewirken.

  2. Unparteiischer Altruismus: Alle Menschen sind gleichwertig — Effektiver Altruismus zielt darauf ab, den Interessen aller Menschen gleiches Gewicht zu verleihen, unabhängig davon, wo oder wann sie leben. In Verbindung mit der Festlegung von Prioritäten führt dies oft dazu, dass man sich auf vernachlässigte Gruppen konzentriert, die weniger Macht über die Wahrung ihrer eigenen Interessen haben.

  3. Offene Wahrheitsfindung: Effektiver Altruismus ist nicht von vornherein auf eine bestimmte Absicht, Gemeinschaft oder Vorgehensweise festgelegt. Um effektiv Prioritäten setzen zu können, erfordert Effektiver Altruismus, dass man sich eingehend mit seinen Überzeugungen auseinandersetzt und diese reflektiert, dass man ständig aufgeschlossen und neugierig bezüglich neuer Beweise und Argumente ist und dass man bereit ist, seine Ansichten radikal zu ändern.

  4. Teamgeist: Es ist durch Zusammenarbeit möglich, mehr zu erreichen. Dies erfordert ein hohes Maß an Ehrlichkeit, Freundlichkeit und eine gemeinschaftliche Perspektive. Bei Effektivem Altruismus geht es nicht darum, nach dem Motto „der Zweck rechtfertigt die Mittel“ zu argumentieren — vielmehr geht es darum, ein guter Bürger zu sein und gleichzeitig ehrgeizig auf eine bessere Welt hinzuarbeiten.

Jeder, der diese Werte teilt und versucht, bessere Wege zu finden, um anderen zu helfen, beteiligt sich an Effektivem Altruismus. Dies gilt unabhängig davon, wie viel Zeit oder Geld man spenden will oder auf welches Anliegen man sich konzentrieren möchte.

Effektiver Altruismus ist der Einsatz von Beweisen und Verstand auf der Suche nach den besten Wegen, Gutes zu tun. Auf diese Weise kann Effektiver Altruismus mit wissenschaftlichen Methoden verglichen werden. Wissenschaft ist die Anwendung von Evidenz und Vernunft auf der Suche nach der Wahrheit — auch wenn die Ergebnisse unintuitiv sind oder der gängigen Praxis widersprechen. Wissenschaftliche Methoden basieren auf einfachen Ideen (z. B. dass man seine Überzeugungen überprüfen sollte), führen aber zu einem radikal anderen Bild der Welt (z. B. Quantenmechanik). Ebenso beruht Effektiver Altruismus auf einfachen Ideen — dass wir alle Menschen gleich behandeln sollten und dass es immer besser ist, so vielen Menschen wie möglich zu helfen — und dennoch führt er zu einem unkonventionellen und sich ständig weiterentwickelnden Bild davon, wie man Gutes tut.

Hier findest Du eine ausführlichere Einführung in Effektiven Altruismus:

Im Folgenden werden wir Wills Arbeit hinsichtlich dieser Missverständnisse exzerpieren.

Missverständnis Nr. 1: Effektiver Altruismus ist nur auf Armutsbekämpfung ausgerichtet

„In den Medien und in kritischen Diskussionen wurde der Schwerpunkt bisher überwiegend auf den Teil des Effektiven Altruismus gelegt, bei dem es um die Bekämpfung der Armut geht. So beginnt Judith Lichtenberg ihren Artikel mit der Frage: „Wie viel Geld, Zeit und Mühe sollte man geben, um die bittere Armut zu lindern?“.2 Jennifer Rubenstein beschreibt Effektiven Altruismus als „eine soziale Bewegung, die sich auf die Linderung der Armut konzentriert“ und Iason Gabriel beschreibt Effektiven Altruismus als „Ermutigung des Einzelnen, so viel Gutes wie möglich zu tun — in der Regel durch Spenden an die erfolgreichsten Hilfs- und Entwicklungsorganisationen“.3

Es stimmt natürlich, dass Armutsbekämpfung eines der Hauptanliegen der EA-Bewegung ist. In der EA-Umfrage von 2017 nannten 41 % der Befragten extreme Armut als ihr vorrangiges Anliegen. Einige Organisationen des Effektiven Altruismus, wie z. B. GiveWell, konzentrieren sich ausschließlich auf Armutsbekämpfung.4 Andere wiederum beschäftigen sich ausschließlich mit Tierschutz5 oder existenziellen Risiken.6 (Editorische Anmerkung: Von den am stärksten engagierten ~40 % der Gemeinschaft konzentrieren sich nur 14 % auf Armut.)

Zwei Kernbestandteile des Effektiven Altruismus sind jedoch die Zweck- und Mittelneutralität: die grundsätzliche Bereitschaft, sich auf ein beliebiges Problem zu konzentrieren (z. B. globale Gesundheit, den Klimawandel oder Massentierhaltung) und die grundsätzliche Bereitschaft, zur Lösung dieses Problems jedes beliebige (nicht gegen andere ethisch zu achtende Prinzipien verstoßende) Mittel einzusetzen. In jedem Fall ist das entscheidende Kriterium aber, welche Aktivität den größten Erfolg verspricht. Die Neutralität von Zweck und Mitteln ergibt sich aus den Annahmen der Maximierung und des unparteiischen Welfarismus. Wenn jemand, der sich Effektiven Altruismus verschrieben hat, mehr für das Wohlergehen von Wesen tun kann, indem er sich auf die effektivsten Anliegen und Mittel konzentriert (ohne irgendwelche Randbedingungen zu verletzen), dann wird er dies tun.

In der Praxis unterstützen die Mitglieder der Gemeinschaft des Effektiven Altruismus viele andere Anliegen, darunter die Verringerung von Tierleid, die Reform der Strafjustiz und die Minderung existenzieller Risiken. In der EA-Umfrage von 2017 wählten zusätzlich zu den 41 % der Befragten, die extreme Armut als ihr vorrangiges Anliegen nannten, 19 % der Befragten die Priorisierung von Anliegen als oberste Priorität, 16 % wählten KI, 14 % wählten Umweltschutz, 12 % wählten die

Förderung von Rationalität, 10 % wählten existenzielle Risiken außerhalb von KI und 10 % wählten Tierschutz. Diese Ergebnisse ähneln weitgehend denen der Umfragen von 2015 und 2014: Armut ist der häufigste Interessenschwerpunkt für Einzelpersonen in der Gemeinschaft des Effektiven Altruismus, aber nicht der Fokus für die Mehrheit der Einzelpersonen in der Gemeinschaft.

Dies spiegelt sich in der Verteilung der Zuschüsse von Open Philanthropy wider. Im Jahr 2017 gaben sie Folgendes aus:

  • 104 Millionen Euro (42 %) für globale Gesundheit und Entwicklung

  • 38 Millionen Euro (15 %) für die Reduktion potenzieller Risiken durch fortgeschrittene künstliche Intelligenz

  • 32 Millionen Euro (13 %) für wissenschaftliche Forschung (die auch andere Bereiche betrifft)

  • 25 Millionen Euro (10%) für Biosicherheit und Pandemievorsorge

  • 24 Millionen Euro (10%) für den Schutz von Nutztieren

  • 9 Millionen Euro (4%) für die Reform der Strafjustiz

  • 8 Millionen Euro (3%) für andere globale Katastrophenrisiken

  • 9 Millionen Euro (4 %) für andere Bereiche, einschließlich
    Landnutzungs-Reform, makroökonomische Politik, Einwanderungspolitik, Förderung von Effektivem Altruismus und Verbesserung institutioneller Entscheidungsfindung

(Editorische Anmerkung: Betrachtet man die Ausgaben für 2018-2019, so ist der Anteil für globale Gesundheit geringer — er liegt bei rund 32 %).

Eine ähnliche Bilanz ergibt sich bei den Geldern, die in den EA-Fonds (Einzelspender:innen können in einen von einem Experten verwalteten Fonds, der die Gelder dann an bestimmte Aufgabenbereiche weiterleitet, spenden) fließen. Im Jahr 2017 erhielt er:

  • 864.000 Euro (48 %) für den Fonds für globale Gesundheit und Entwicklung

  • 360.000 Euro (20 %) für den Tierschutz-Fonds

  • 320.000 Euro (18 %) für den Fonds für die langfristige Zukunft

  • 255.000 Euro (14%) für den Fonds der EA-Bewegung

Daher wäre im Gegensatz zu der Gleichsetzung von Effektivem Altruismus mit Armutsbekämpfung eine genauere Beschreibung nötig: Die EA-Bewegung setzt sich gegenwärtig schwerpunktmäßig mit extremer Armut, Massentierhaltung und existenziellen Risiken auseinander mit einer kleinen Anzahl an weiteren Schwerpunktbereichen.“

Missverständnis Nr. 2: Bei Effektivem Altruismus geht es ausschließlich um Spenden oder „Geld verdienen um es zu spenden“

„Die meiste Aufmerksamkeit in den Medien gilt dem Teil des Effektiven Altruismus, der sich auf Effektiven Altruismus im Bezug auf Spenden konzentriert. Ein wesentlicher Teil davon konzentriert sich auf das Prinzip „Geld verdienen, um es zu spenden“ — in anderen Worten, dass Menschen bewusst eine lukrative Karriere verfolgen sollten, um einen großen Teil dieser Einkünfte an effektive Wohltätigkeitsorganisationen spenden zu können.7

Dies gilt auch für die Kritik am Effektiven Altruismus. Iason Gabriel beschreibt Effektiven Altruismus als „eine Philosophie und soziale Bewegung, die darauf abzielt, die Art und Weise, wie wir Philanthropie betreiben, zu revolutionieren“, und konzentriert sich in seiner Diskussion auf Effektiven Altruismus und Wohltätigkeit.8 In ähnlicher Weise konzentriert sich Jennifer Rubensteins Rezension von Doing Good Better und The Most Good You Can Do auf die wohltätige Seite des Effektiven Altruismus.9

Es besteht kein Zweifel daran, dass Philanthropie ein Hauptschwerpunkt der EA-Gemeinschaft ist. 80,000 Hours räumt ein, dass sie in ihren ersten Marketingmaterialien definitiv zu sehr für „Geld verdienen, um es zu spenden“ geworben haben.10 Daher ist es nachvollziehbar, dass sich verschiedene Artikel auf diesen Aspekt konzentrieren. Aber das bedeutet auch, dass ein unbeteiligter Leser denken könnte, dass das alles ist, worauf sich die Gemeinschaft des Effektiven Altruismus konzentriert, auch wenn dies gar nicht der einzige Fokus ist.

80,000 Hours ist ganz darauf ausgerichtet, dem Einzelnen zu helfen, seine Karriere so effektiv wie möglich zu nutzen. Wir empfehlen, dass nur etwa 15 % der altruistischen Hochschulabsolvent:innen, die in einer Vielzahl von Karrierewegen glücklich wären, langfristig Geld verdienen sollten, um es zu spenden.11 In ähnlicher Weise liegt der Hauptschwerpunkt des Centre for Effective Altruism — zum großen Teil aufgrund des Erfolgs der EA-Bewegung bei der Beschaffung philanthropischer Gelder — darin, Menschen zu ermutigen, in besonders wichtigen Bereichen zu arbeiten, anstatt diese Bereiche zu finanzieren.12 In einer EA-Umfrage von 2015 wurden die Umfrageteilnehmer gefragt: „Welchen allgemeinen Karriereweg planst Du zu verfolgen?“. Obwohl „Geld verdienen, um es zu spenden“ mit 36 % die häufigste Antwort war, wählten 13 % „gemeinnützige Arbeit“, 25 % „Forschung“ und 26 % „nichts davon“. Es scheint also, dass die meisten Mitglieder der Gemeinschaft des Effektiven Altruismus nicht planen, Spenden als primären Weg der Einflussnahme zu nutzen.“

Missverständnis Nr. 3: Effektiver Altruismus ignoriert systemischen Wandel

„Von allen Kritikpunkten am Effektiven Altruismus ist der häufigste, dass Effektiver Altruismus den systemischen Wandel ignoriert. Brian Leiter kommentiert zum Beispiel Folgendes: „Ich bin etwas skeptisch gegenüber Initiativen wie [dem Effektiven Altruismus] und zwar aus dem einfachen Grund, dass ein Großteil menschlichen Elends systemische Ursachen hat, die nicht von Wohltätigkeit, aber von politischen Veränderungen angegangen werden können; ergo sollten alle Gelder und Bemühungen in systemische und politische Reformen fließen.“13 Dieser Aspekt wird auch von Amia Srinivasan14, Iason Gabriel15 und Jennifer Rubenstein thematisiert.

Effektiver Altruismus ist jedoch sowohl in der Theorie als auch in der Praxis eindeutig aufgeschlossen für systemischen Wandel.17 Wir können zwischen einer allgemeinen und einer engeren Bedeutung des Begriffs „systemischer Wandel“ unterscheiden. Allgemein beschrieben ist eine systemische Veränderung jede Veränderung, die eine einmalige Investition erfordert, um einen nachhaltigen Vorteil zu erzielen. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff „systemischer Wandel“ auf einen langfristigen politischen Wandel. Unabhängig davon wird den Vertreter:innen des Effektiven Altruismus häufig vorgeworfen, dass sie sich durch den Wunsch nach Quantifizierung von eher schwer zu bewertenden Maßnahmen wie dem politischen Wandel fernhalten.18

Es ist klar, dass Effektiver Altruismus für systemische Veränderungen prinzipiell offen ist, denn er ist der Zweck- und Mittelneutralität verpflichtet. Wenn man also die Welt auf irgendeine systemische Art und Weise verbessern kann und sich dies als beste Option herausstellt, Gutes zu tun (voraussichtlich gedacht und ohne irgendwelche Nebenbedingungen zu verletzen), dann ist dies aus Sicht des Effektiven Altruismus die beste Vorgehensweise. Noch wichtiger ist jedoch, dass sich Effektive Altruist:innen in der Praxis oft für einen systemischen Wandel, auch im engeren Sinne gesehen, einsetzen. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt.19

  • Die internationale Mobilität von Arbeitskräften ist seit einiger Zeit ein Fokusbereich von Effektivem Altruismus. Openborders.info, das von einem Mitglied der EA-Gemeinschaft betrieben wird, sammelt Forschungsergebnisse und wirbt für die Option einer drastischen Steigerung der Migration aus armen Ländern in reiche. Open Philanthropy hat in diesem Bereich Förderung gewährt, unter anderem an das Center for Global Development, die US Association for International Migration und ImmigrationWorks. Der Hintergrund für diese Schwerpunktsetzung ist einer der strukturellen Gründe, warum Menschen in armen Ländern arm sind — nämlich, dass sie nicht in Länder ziehen können, in denen sie produktiver sein könnten. Durch die gemeinsamen Migrationsbeschränkungen anderer Länder werden sie quasi in dem Land eingesperrt, in dem sie geboren wurden. Aus diesem Grund gibt es wirtschaftliche Argumente dafür, dass eine größere grenzüberschreitende Bewegungsfreiheit enorme Vorteile für Menschen in Armut mit sich bringen würde.20

  • Das Center for Election Science fördert alternative Wahlsysteme, insbesondere die Zustimmungswahl; es wird von einem Mitglied der EA-Gemeinschaft geleitet und erhielt auf meine Empfehlung hin einen Zuschuss von Open Philanthropy.21

  • Das Centre for Effective Altruism hat die Weltbank, die WHO, das Ministerium für internationale Entwicklung und die britische Regierung beraten.

  • Die Liste der empfohlenen Karrieren von 80,000 Hours umfasst die Parteipolitik, den politikorientierten öffentlichen Dienst und Denkfabriken. Außerdem gibt es einen Mitarbeiter, der sich ausschließlich der Beratung von Menschen, die in der Politik und in der Regierung im Bereich von technologischen Risiken arbeiten möchten, widmet.

  • Der tierschutzorientierte Teil der Gemeinschaft, darunter Mercy for Animals und The Humane League, hat erstaunliche Erfolge erzielt, indem sie Lobbyarbeit bei großen Einzelhändlern und Fast-Food-Ketten betrieben haben — z. B. dass diese sich verpflichten, in ihrer Lieferkette keine Eier von Hühnern aus Käfighaltung mehr zu verwenden.

  • Organisationen wie das Future of Humanity Institute und das Centre for the Study of Existential Risk arbeiten aktiv an politischen Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Technologien. Sie beraten zudem Organisationen wie die US-Regierung, die britische Regierung und die UNO.

  • Open Philanthropy hat zahlreiche Zuschüsse in den Bereichen Landnutzungsreform, Strafrechtsreform, Verbesserung der politischen Entscheidungsfindung und makroökonomische Politik gewährt.22

Wenn wir den systemischen Wandel im weiteren Sinne betrachten, dann ist ein noch größerer Anteil der Bemühungen der EA-Gemeinschaft darauf ausgerichtet. So fällt beispielsweise die gesamte Arbeit zur Bewältigung existenzieller Risiken in diese Kategorie, ebenso wie der Fokus auf wissenschaftliche Forschung und die Verbesserung der Wissenschaft (z. B. durch die Förderung der Vorregistrierung von Studien).

Natürlich ist es durchaus denkbar, dass es „systemische“ Interventionen gibt, die von den Vertreter:innen des Effektiven Altruismus vernachlässigt werden. Vielleicht wäre eine Kampagne für ein internationales Gesetz, das den Kauf natürlicher Ressourcen von Diktaturen verbietet, eine noch wirksamere Maßnahme als jede der derzeitigen Aktivitäten des Effektiven Altruismus.23 Aber das ist eher ein interner Streit als eine Kritik am Effektiven Altruismus an sich. Man könnte behaupten, dass es in der Natur der Denkweise der Anhänger:innen von Effektivem Altruismus liegt, dass diese Idee vernachlässigt wird.

Aber es gibt durchaus alternative Erklärungen: Die Chance, dass eine solche Kampagne erfolgreich ist, ist verschwindend gering. Selbst wenn sie erfolgreich wäre, würde die Gesetzesänderung im besten Fall erst in Jahrzehnten eintreten, wenn das Problem der extremen Armut wahrscheinlich weitaus geringer sein wird als heute.24 Angesichts dessen und der oben aufgeführten Engagements für systemische Veränderungen ist es schwer zu verstehen, warum wir dies als Kritik am Effektiven Altruismus an sich betrachten sollten und nicht einfach als eine Meinungsverschiedenheit über die besten Wege zur Förderung von Wohlstand.“

Missverständnis Nr. 4: Effektiver Altruismus ist nur Utilitarismus

„Effektiver Altruismus wird oft einfach als eine Weiterentwicklung des Utilitarismus oder auch als angewandter Utilitarismus angesehen. John Gray spricht beispielsweise von „utilitaristischen Effektiven Altruist:innen“ und unterscheidet in seiner Kritik nicht zwischen Effektivem Altruismus und Utilitarismus.25 Giles Fraser behauptet, dass die „große Idee“ des Effektiven Altruismus darin besteht, „einen weitgehend utilitaristischen/rationalistischen Ansatz zu fördern, um Gutes zu tun.“26

Es stimmt, dass der Effektive Altruismus einige Ähnlichkeiten mit dem Utilitarismus aufweist: Er ist auf die Maximierung ausgerichtet, ist in erster Linie auf die Verbesserung des Wohlbefindens bedacht, viele Mitglieder der Gemeinschaft erbringen erhebliche Opfer, um mehr Gutes zu tun und viele Mitglieder der Gemeinschaft bezeichnen sich sogar selbst als Utilitarist:innen.27

Dies bedeutet jedoch nicht, dass Effektiver Altruismus mit Utilitarismus identisch ist. Anders als Utilitarismus verlangt Effektiver Altruismus nicht, dass man stets seine eigenen Interessen opfern muss, um einen größeren Vorteil für andere zu erzielen.28 In der Tat stellt Effektiver Altruismus nach der obigen Definition keine Ansprüche hinsichtlich persönlicher Verpflichtungen zum Erhöhen des Wohlergehens anderer.

Im Gegensatz zu Utilitarismus wird im Effektiven Altruismus nicht der Anspruch erhoben, dass man immer Gutes tun sollte, egal mit welchen Mitteln.29 Tatsächlich gibt es, wie in den Leitprinzipien angedeutet, eine starke gemeinschaftliche Norm gegen die Argumentation „der Zweck rechtfertigt die Mittel“. Dies wird z. B. in einem 80,000 Hours Blogpost von mir und Ben Todd nachdrücklich betont.30

Schlussendlich behauptet Effektiver Altruismus im Gegensatz zum Utilitarismus nicht, dass das Gute gleich der Summe des Wohlbefindens ist. Wie bereits erwähnt, ist Effektiver Altruismus mit dem Egalitarismus, dem Prioritarismus und — da er nicht behauptet, dass Wohlergehen das einzig Wertvolle ist — mit den Ansichten darüber, welche nicht selbstlosen Güter wertvoll sind, vereinbar.31

Im Allgemeinen bringen sehr viele plausible moralische Ansichten mit sich, dass es einen Grund gibt, das Gute zu fördern und dass die Verbesserung des Wohlbefindens von moralischem Wert ist.32 Wenn eine moralische Ansicht diese beiden Ideen unterstützt, dann ist Effektiver Altruismus Teil des moralisch guten Lebens.“

Wenn Du dich dafür interessierst, wie Effektiver Altruismus definiert wird, solltest Du den ganzen Artikel lesen. Falls du eine weniger akademische Einführung suchst, versuche es mit dieser Einführung in Effektiven Altruismus.

Wenn Du mehr bezüglich wissenschaftlicher Forschung über Effektiven Altruismus erfahren möchtest, schau Dir die Veröffentlichungen des Global Priorities Institute an.

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1 MacAskill, W., 2019. The Definition of Effective Altruism. Effective Altruism: Philosophical Issues, 2016(7), p. 10.

2 Judith Lichtenberg, ‘Peter Singer’s Extremely Altruistic Heirs’, The New Republic (30. November 2015).

3 Iason Gabriel, ‘Effective Altruism and Its Critics’, Journal Applied Philosophy, vol. 34 (2017), pp. 457-473.

4 McGeoch and Hurford, ‘EA Survey 2017 Series’.

5 Zum Beispiel: Animal Charity Evaluators (ACE).

6 Zum Beispiel: die Berkeley Existential Risk Initiative (BERI).

7 Siehe beispielsweise Lisa Herzog, ‘Can “Effective Altruism” Really Change the World?’, openDemocracy (22. Februar 2016); Jennifer Rubenstein, ‘The Logic of Effective Altruism’, Boston Review (1. Juli 2015); Sam Earle and Rupert Read, ‘Why “Effective Altruism” Is Ineffective: the Case of Refugees’, Ecologist (5. April 2016).
Mein eigener Artikel zu dieser Position ist ‘Replaceability, Career Choice, and Making a Difference’.

8 Iason Gabriel, ‘Effective Altruism and Its Critics’, Journal Applied Philosophy, vol. 34 (2017), pp. 457-473.

9 Jennifer Rubenstein, ‘The Lessons of Effective Altruism’, Ethics & International Affairs, vol. 30 (2016), pp. 511-526.

10Our Mistakes’, 80,000 Hours.

1180,000 Hours Thinks that Only a Small Proportion of People Should Earn to Give Long Term’, 80,000 Hours (6. Juli 2015)

12 Larissa Hesketh-Rowe, ‘CEA’s 2017 Review and 2018 Plans’, Centre for Effective Altruism (18. Dezember 2017).

13 Brian Leiter, ‘Effective Altruist Philosophers’, Leiter Reports (22. Juni 2015).

14Stop the Robot Apocalypse’, London Review of Books, vol. 37 (24. September 2015), pp. 3-6.

15 Iason Gabriel, ‘Effective Altruism and Its Critics’, Journal Applied Philosophy, vol. 34 (2017), pp. 457-473.

16 Jennifer Rubenstein, ‘The Lessons of Effective Altruism’. Andere Beispiele für diese Kritik sind: Herzog, ‘Can “Effective Altruism” Really Change the World?’; Mathew Snow, ‘Against Charity’, Jacobin (25. August 2015); Earle and Read, ‘Why “Effective Altruism” Is Ineffective’.

17 Siehe dazu: Berkey, ‘The Institutional Critique of Effective Altruism’.

18 Emily Clough, ‘Effective Altruism’s Political Blind Spot’, Boston Review (14. Juli 2015).

19 Siehe dazu: Robert Wiblin, ‘Effective Altruists Love Systemic Change’, 80,000 Hours (8. Juli 2015).

20 Bryan Caplan and Vipul Naik, ‘A Radical Case for Open Borders’, in Benjamin Powell (ed.), The Economics of Immigration: Market-Based Approaches, Social Science, and Public Policy, New York: Oxford University Press, 2015, ch. 8.

21 Hier findest Du eine Einführung in die Wahltheorie von einem Vorstandsmitglied des Zentrums für Wahlwissenschaften: Jameson Quinn, ‘A Voting Theory Primer for Rationalists’, Less Wrong (12. April 2018).

22 Siehe hier.

23 Iason Gabriel, ‘Effective Altruism and Its Critics’, Journal Applied Philosophy, vol. 34 (2017), pp. 457-473.

24 Die Armut ist in den letzten zwei Jahrhunderten drastisch zurückgegangen, und wir können davon ausgehen, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Siehe Max Roser und Esteban Ortiz-Ospina, ‘Global Extreme Poverty’, Our World in Data.

25 John Gray, ‘How & How not to Be Good’, The New York Review of Books (21. Mai 2015).

26 Giles Fraser, ‘It’s Called Effective Altruism—But is it Really the Best Way to Do Good?’, The Guardian (23. November 2017); Marko Bakić, ‘How Is Effective Altruism Related to Utilitarianism?’, Quora (30. December 2015) (“EA is a particular flavor of utilitarianism”); Iason Gabriel, ‘The Logic of Effective Altruism’, Boston Review (6. Juli 2015); Catherin Tumber, ‘The Logic of Effective Altruism’, Boston Review (1. Juli 2015)

27 In einer EA-Umfrage von 2017 wählten 52,8 % der Befragten den Utilitarismus als Antwort auf die Frage „Falls du eine Moralphilosophie vertrittst, welche ist es?“. Darüber hinaus wählten 12,6 % „Konsequentialismus (NICHT Utilitarismus)“, 5,2 % „Tugendethik“, 3,9 % „Deontologie“ und 25,5 % „keine Meinung oder nicht vertraut mit diesen Begriffen“. Es ist jedoch nicht klar, wie gut die Befragten diese Begriffe verstanden haben. Im Gespräch erfuhr ich zum Beispiel, dass ein Befragter dachte, Utilitarismus beziehe sich auf jede Moraltheorie, die durch eine Nutzenfunktion dargestellt werden kann.

28 Zur Kritik, dass Utilitarismus zu anspruchsvoll sei, siehe ‘The Demandingness of Morality: Toward a Reflective Equilibrium’ by Brian Berkey. Philosophical Studies 173 (11): 3015-3035 (2016).

29 Zu Utilitarismus und Randbedingungen, siehe Shelly Kagan, The Limits of Morality, New York: Oxford University Press, 1989.

30 Benjamin Todd und Will MacAskill, ‘Is it Ever Okay to Take a Harmful Job in Order to Do More Good? An In-depth Analysis’, 80,000 Hours (August 2017).

31 Siehe Derek Parfit, ‘Equality and Priority’, Ratio, vol. 10 (1997), pp. 202-221; Larry Temkin, Inequality, New York: Oxford University Press, 1993; Thomas Hurka, Perfectionism, New York: Oxford University Press, 1996.

32 Shelly Kagan, Normative Ethics, Boulder, Colorado: Westview Press, 1998, 2. Kapitel; David Ross, The Right and the Good, Oxford: Oxford University Press, 1930, 2. Kapitel.